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Wochenbettdepression – Zeit, über ein Tabu-Thema zu reden
Von Sandra Meßmer

Rund um eine Schwangerschaft und Geburt sind Unsicherheit, Ängste, Zwänge, Gefühlschaos und Hilflosigkeit weit verbreitet.
Alleine in Deutschland sind jährlich etwa 100.000 Frauen betroffen *.
Diese seelische Krise endet für 10 – 20 % der Frauen in einer sogenannten Wochenbettdepression. Eine Wochenbettdepression – oder auch Postpartale Depression genannt – ist eine zeitlich eingegrenzte Depression, die gehäuft in den ersten drei Monaten auftritt, manchmal aber auch erst sechs bis sieben Monaten nach einer Geburt diagnostiziert wird.


Körperliche und seelische Gründe für eine Postpartale Depression
Die Gründe dafür sind vielfältig. Sowohl physiologisch als auch psychologisch ist einiges im Ungleichgewicht. Auf physiologischer Seite sind dies z. B. Hormonschwankungen (während der Schwangerschaft sind Progesteron und Östrogen um das bis zu 200fache erhöht und diese Werte fallen nach der Entbindung rapide ab **), das Stillen oder auch extremer Schlafmangel. Psychische Auswirkungen hängen stark von der vorherigen oder aktuellen Lebensphase oder dem Alter der Mutter ab. Auch die massive Rollenveränderung geht oft nicht komplikationslos über die Bühne, vor allem, wenn das soziale Umfeld und die Anforderungen und Erwartungen der Gesellschaft einen großen Druck ausüben. Eine ungewollte Schwangerschaft, finanzielle Sorgen und eine mangelnde soziale oder partnerschaftliche Unterstützung sind weitere mögliche Gründe. Der am häufigsten genannte Grund ist allerdings eine Depression, die schon vor der Schwangerschaft und Geburt bestanden hat – und oft nicht erkannt wurde.

Unterscheidung zwischen Baby-Blues –Postpartaler Depression –Wochenbettpsychose
Es ist sehr wichtig, eine Unterscheidung zwischen oben genannten Krankheitsbildern zu machen, um die jeweilige Form der seelischen Belastung richtig zu erkennen.
Denn eine Depression oder eine Psychose sind keine Defizite der Betroffenen sondern Krankheiten, die behandelt und therapiert werden müssen.


Baby-Blues
Unter dem Baby-Blues versteht man eine gedrückte Stimmungslage, die innerhalb der ersten zwei Wochen nach der Geburt auftritt. Man kann davon ausgehen,
dass ca. 50 – 80 % aller Frauen davon betroffen sind. Sie zeigt sich meist zwischen dem dritten und fünften Tag und dauert von wenigen Stunden bis maximal einigen Tagen *.
Es ist aber von großer Wichtigkeit, den Baby-Blues nicht nur als schwierige körperliche und psychische Anpassungszeit an die neuen Verhältnisse anzusehen.
Eine genaue Beobachtung der Symptome und vor allem der Dauer dieser Phase sind hilfreich, um eine beginnende Depression nicht zu übersehen.
Die Symptome sind denen der Postpartalen Depression ähnlich, meist aber unter dem Oberbegriff der „Weinerlichkeit“ und Reizbarkeit zusammengefasst und ohne
eine Gefährdung des Lebens für Mutter und Kind.

Postpartale Depression
Die sensible Zeit für eine Postartale Depression ist in der Regel in den ersten Wochen – manchmal auch innerhalb der ersten zwei Jahre nach der Geburt.
Typische Symptome sind u. a. …
... Müdigkeit, Erschöpfung, keine Energie
... Schlafmangel
... Gefühl der Fremdbestimmtheit
... Schuldgefühle, Versagensangst
... Ängste und Zwänge, Reizbarkeit
... Traurigkeit, verbunden mit häufigem Weinen
... Gefühlsleere und sexuelle Abneigung
... Körperliche Symptome wie Kopfschmerzen, Schwindel, Appetitlosigkeit
... Zwiespältige Gefühle gegenüber dem Kind
... Kaum oder wenig Blickkontakt mit dem Kind, wenig liebevolles Verhalten, kaum Kommunikation
... Suizidgedanken, Angst dem Kind etwas anzutun

Die Edinburgh Postnatal Depression Scale kann eine gute Hilfe leisten, eine Depression während der Schwangerschaft oder postpartal zu erkennen.


Postpartale Psychose
Die Postpartale Psychose ist viel seltener anzutreffen als die oben genannten Krankheitsbilder. Sie ist ein medizinischer Notfall, eine schwere Krise und sollte unbedingt rasch diagnostiziert und behandelt werden. Die Betroffenen fühlen sich oft gehetzt und unruhig – oder ganz im Gegenteil antriebslos bis apathisch. Hinzu kommen Realitätsverlust, Halluzinationen, Wahn, Depressionen sowie Angst- und Panikattacken. Häufig verändert sich die eigene Persönlichkeit und konkrete Gedanken, dem Kind, sich selbst oder gleich beiden etwas anzutun, das Leben zu beenden, rücken in den Fokus von Denken und Handeln. Eine Einweisung in eine Klinik ist das beste Mittel, um durch diese Krise sicher hindurchzukommen.

Frauen am Rande ihrer psychischen Belastbarkeit
Es gibt eine sehr große Anzahl an Frauen, die ihre Schwangerschaft, Geburt, das Wochenbett und die Zeit danach glücklich, unbeschwert und ohne Komplikationen erleben. Aber es gibt eben auch 10 – 20 % an Frauen, denen es anders ergeht. Bis sich alle Beteiligten eingespielt haben und ein gut funktionierender Rhythmus da ist, kann es dauern – und für manche dauert diese Anpassungszeit zu lange. In der Zwischenzeit mehren sich Schuldgefühle, Ängste, Zwänge und der Druck, nicht zu versagen. Die vormals dagewesenen Stabilitätsfaktoren wie Beruf, Freizeit, Hobbies und soziale Kontakte gibt es oft in der gekannten Form nicht mehr und der Verlust der eigenen Flexibilität macht vor allem den Frauen zu schaffen.

Auswirkungen auf Partner*in, Familie und das Kind
Die Auswirkungen auf das Umfeld der betroffenen Frauen sind vielfältig. In jedem Fall können sie sehr belastend oder sogar bedrohlich wahrgenommen werden.
Die Hauptlast der Kinderversorgung liegt in der Regel bei den Müttern und wenn diese nicht „funktionieren“, dann mehren sich Angst und Sorgen, dass vor allem das Kind nicht gut versorgt wird und es der Mutter zunehmend schlechter geht.
Bei den Vätern kann man sagen, dass ca. 10 % auch depressiv werden, wenn ihre Frauen mit einer Postpartalen Depression zu kämpfen haben.
Wenn die Frau erkrankt, ist die Wahrscheinlichkeit, dass auch der Mann erkrankt, sehr hoch. Bei den Männern spielen hier vor allem der sogenannte Versorgungsauftrag,
das Einkommen, die Qualität der Partnerschaft und ob das Kind aus einer gewollten Schwangerschaft entsteht eine wichtige Rolle. Väter können einen hilfreichen und wertvollen Beitrag in der Beziehung zum Kind leisten: die Person sein, die ganz bewusst und aufmerksam mit dem Kind agiert und reagiert und somit eine gute und stabile Bindung und Beziehung zum Kind aufbaut. Jede Möglichkeit dazu, sollte vom Partner genutzt werden. Wenn dieser fehlt, können selbstverständlich auch andere, wichtige Personen, diese Aufgabe übernehmen.
Eine Postpartale Depression kann eine große Belastung für die Partnerschaft darstellen. Viele Frauen haben ein sehr großes Bedürfnis danach, umsorgt und beachtet zu werden. Wenn das Gefühl aber vorherrscht, vom Partner im Stich gelassen zu werden, kann dies weitreichende Konsequenzen zur Folge haben, die auch mit der Trennung der Partner enden kann.
Wie sich Postpartale Depressionen auf das Kind auswirken, ist nicht so einfach zu beantworten. Da jede Depression, jede Mutter und jedes Kind individuell sind und unterschiedlich reagieren, ist es schwierig, hier eine einfache Aussage zu treffen. Fakt ist aber, dass es Auswirkungen hat, wenn der Start ins Leben nicht ideal abläuft.
Kinder spüren sehr genau, ob sie abgelehnt werden, ob sie nicht liebevoll und mit Hingabe getragen und umsorgt werden, ob die Mutter viel weint, oft schreit oder insgesamt wenig mit dem Kind redet. Dadurch entstehen Risikofaktoren für eine gesunde Entwicklung und kognitive und sozio-emotionale Eigenschaften können beeinträchtigt werden. In vielen Untersuchungen wurde gezeigt, dass Depressivität weitergegeben werden kann – daher ist es sehr hilfreich, wenn Babys nicht so viel damit konfrontiert werden.


Was kann man tun, wer kann helfen und wie kann man sinnvoll unterstützen?
Alles beginnt mit der Aufklärung über die Krankheit und geht weiter mit einer aktiven Entlastung und Unterstützung der Frauen. Jede Möglichkeit zu schlafen, sollte genutzt oder vom Umfeld der Mütter geschaffen werden. Schuldgefühle darüber, keine „gute“ Mutter zu sein und bei der Betreuung und z. B. beim Stillen zu versagen,
müssen abgebaut werden.
Wenn die Depression schwerer ist, können Medikamente helfen. Hier gibt es mittlerweile gute Angebote, die weder schädlich für Mutter und Kind sind,
noch den Still-Prozess negativ beeinflussen. Ansprechpartner sind hier Fachärzte (Psychiater).
Weiterhin ist jede Art der Hilfe vom Partner, der Familie, Bekannten und Freunden, Hebammen und therapeutischen Fachkräften sinnvoll und mehr als willkommen.
Es gilt der Mutter zu signalisieren: „Wir schaffen das!“. Dabei sollte man möglichst unkompliziert und flexibel auf die ganz individuellen Bedürfnisse eingehen und keinen Druck ausüben. Viel praktische Hilfe, wie mal eine Stunde das Kind betreuen, Kochen, Putzen, Waschen oder Einkaufen sind kleine Inseln der Entlastung.
Auch mal eine gemeinsame Zeit der Partner zu ermöglichen, stärkt das mentale Fundament der Frauen.


Allgemein gilt: Eine Depression kann sehr heftig sein – je schneller eine gute Behandlung erfolgt, desto schnell kann die Depression auch verschwinden.
Und als Mutter ist es ratsam, sich folgende Gedanken – schon vor der Geburt des Kindes – zu machen ...
... Wer bin ich?
... Wie und wann fühle ich mich wohl?
... Was tut mir gut?
... Was sind meine Faktoren für Stabilität und Leichtigkeit?


Wenn dann schwierige Situationen nach der Geburt aufkommen, kann man die Erkenntnisse bei Belastung wieder aktivieren, aufbauen und in den neuen Alltag einbauen. Am allerwichtigsten kann es aber für die Mütter sein, Unterstützung zu suchen und anzunehmen, sich vom Perfektionismus zu verabschieden und zu lernen,
flexibel auf das Leben zu reagieren. Es ist hilfreich sich zu fragen: „Was für eine Mutter möchte ich sein und wo bleibe ich mit meinen Bedürfnissen in der Beziehung zu meinem Kind?“


„Durch das Du entsteht das Ich“ – Joachim Bauer
Wunsch und Ziel jeder erfüllenden Mutter-Kind-Beziehung ist im Grunde genommen, dass man es schafft, miteinander eine vertrauensvolle Beziehung aufzubauen und dass es beiden gut geht – ohne, dass Frauen zu viel geben und sich selbst vergessen und Kinder in ihrer durchaus auch heilenden Rolle eine Chance haben.


* Quelle der genannten Zahlen und Fakten: Schatten & Licht e. V.
** Progesteron = Schwangerschaftshormon / Östrogen = wichtigstes, weibliches Sexualhormon (Quelle: www.wikipedia.de)

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