LIES MAL!
Das Trauma einer „Gewaltsamen Geburt“
Von Sandra Meßmer
Die bestmögliche Geburt eines Kindes ist die, welche die Frau im Idealfall tatsächlich will. Vieles hat man sich vorher ausgemalt, mit Ärzt*innen, Hebammen
und im Kreis von Familie und Freunden besprochen.
Aber oft ist der Geburtsvorgang dann anders, als man sich ihn gewünscht und vorgestellt hat.
Auch jede Frau ist anders. Jede möchte die Geburt anders erleben und jede erlebt dann auch den Geburtsvorgang anders – manche mit Medikamenten, manche ohne,
in verschiedenen Positionen, schnell oder langsam.
Schwierig wird es oft, wenn die Frau bei der Geburt nicht mehr die Hauptrolle spielen kann und keine Kontrolle mehr darüber hat, was mit ihr und dem Baby passiert.
Welche Faktoren spielen dabei eine Rolle?
Frauen wollen in der Regel nicht, dass in den Geburtsvorgang eingegriffen wird.
Häufig ist aber Druck da, etwas tun zu müssen, z. B. mit ...
... einer Einleitung
... einer PDA
... einem Kaiserschnitt
... dem Kristeller Handgriff
... einer Saugglocke
... einer Zange
... dem Wehen Tropf
... unzureichender Anästhesie
... viel Technik
... mangelnde Kommunikation
Bei all diesen äußeren Eingriffen kann es passieren, dass sich die Frauen dabei ausgeliefert fühlen – durch mangelnde Empathie und unzureichende Entscheidungsfindung
und Kommunikation. Ihre Partner sind durch Unwissenheit, Überforderung und Angst um das Leben der Partnerin und des Kindesoft und verständlicherweise nicht in der Lage, den Standpunkt des Paares zu vertreten oder klare Entscheidungen zu treffen. Dabei spielt auch die präsente Hierarchie im Kreissaal eine wichtige Rolle.
Wie psychische und physische Gewalt zu Traumata führen können
Alle Formen der psychischen und physischen Gewalt können zu schweren Traumata führen –oft ausgelöst durch ein respektloses und unbedachtes Verhalten im Umgang
mit den werdenden Eltern. Ärzt*innen gehen auf Fragen der Mutter oder der Begleitpersonen oft gar nicht oder nicht ausführlich genug ein, so dass man als Betroffene/r nicht wirklich versteht, warum Eingriffe nötig sein können. Zwischen Ärzt*innen und Patientinnen herrscht dann ein ruppiger Umgangston, mit dem Eingriffe (oft nicht gut genug)
erklärt werden. Ein ungesundes Machtgefüge im Kreissaal entsteht.
Vieles wird auch gegen den Willen der Frau durchgeführt, z. B. Anfassen, Anschnallen, Festgehalten werden und ein NEIN der Mutter wird häufig einfach ignoriert.
Ein weiteres, klassisches Beispiel ist der Dammschnitt, der fast immer ohne Einverständnis und Erlaubnis der Mutter durchgeführt wird, über den Kopf der Patientin hinweg.
Reizthema Kaiserschnitt
Die meisten Frauen würden in der Regel alles versuchen, damit es eine ruhige, gute und natürliche Geburt wird.
Selbstverständlich gibt es aber Situationen, in denen ein Kaiserschnitt die beste Option ist, sowohl für die Mutter als auch für das Kind. Wenn die Entscheidung für einen Kaiserschnitt im Kreißsaal getroffen werden muss, bekommt die Mutter häufig nicht den nötigen Raum und die nötige Zeit, um sich mit den Ärzt*innen bewusst und gut aufgeklärt dafür zu entscheiden. Sobald diese Voraussetzung aber gegeben ist, kann die finale Entscheidung für einen Kaiserschnitt auch eine werden, die sich für alle Beteiligten gut und richtig anfühlt.
Einfühlungsvermögen kontra Klinikalltag
Bei allen Schritten und Phasen in einer Geburt ist großes Einfühlungsvermögen wichtig. Die Mutter und damit auch das Kind und die Partner*in sind in einer emotionalen Ausnahmesituation. Gefühle bestimmen über das rationale Denken und Berührungen empfindet man viel stärker als unter normalen Umständen. Schon bei der einleitenden Muttermunduntersuchung ist ein vorsichtiger und sanfter Umgang wichtig.
Wenn alle Schritte mit wenig Empathie und Einfühlungsvermögen einfach „abgearbeitet“ werden, keine Frage nach der Erlaubnis und vorherige Erklärung Platz finden,
fühlen sich Mütter schon von Anfang an hilflos – und somit auch oft ihre Partner, die von der Angst um Mutter und Kind beeinflusst werden und es oft ja auch nicht besser wissen. Dabei wäre es bedeutend besser, Patientinnen und ihre Begleiter*innen als Partnerinnen zu sehen, um mit viel Verständnis und im Einklang dem Baby und allen Beteiligten den bestmöglichen Start ins gemeinsame Leben zu ermöglichen.
Die wirtschaftliche Anspannung und der allgegenwärtige Personalmangel in den meisten Kliniken spielen natürlich auch eine tragende Rolle. Es gibt selten ausreichendes Personal, das wirklich in der Lage wäre, alle Schritte mit genug Zeit für Untersuchungen und gegenseitigem Austausch zu gewährleisten. Wirtschaftlich ist die Geburtshilfe in der Regel uninteressant – außer, man macht eine ganze Menge Kaiserschnitte, dann rechnet sich alles wieder. Trotz all dieser Widrigkeiten ist es keinesfalls so, dass Geburten in Kliniken immer ausnahmslos mit Komplikationen und erniedrigenden Begleitumständen durchgeführt werden. Es kann gut und richtig sein, in einer Klinik zu entbinden und es gibt immer mehr, die ihre Strukturen und Abläufe anpassen. Wichtig ist aber, dass man schon im Vorfeld mit Partner*in, Hebamme und dem Klinikpersonal seine ganz persönlichen Wünsche und Bedürfnisse durchspricht und mental auf alles, was kommen kann, vorbereitet ist.
Schwierige Geburten und deren Auswirkungen
Eine schwierige oder gar traumatische, gewaltsame Geburt kann die Betroffenen auch noch ein bis zwei Jahre danach schwer belasten. Die Frau erlebt sich als jemand, der keine Rechte hat. Sie fühlt sich um ihre Grundrechte betrogen: „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ und „Nein heißt Nein“ – beides verliert seine Bedeutung. Dadurch kann ein ganzes Weltbild ins Wanken geraten. Weiterhin können sowohl der durchlebte Stress und die omnipräsente Angst, als auch die Erinnerung an Berührungen, Eingriffe, Geräusche, Gerüche und Gesagtes als Schrecken-Szenarien weiterleben. Häufig erzeugen nach solchen Erlebnissen z. B. die Berührungen durch den Partner kleine Flashbacks.
Wenn die Erlebnisse sehr heftig waren, kann sich auch eine Post-Traumatische Belastungsstörung entwickeln. Wenn man in der Lage ist, Triggerpunkte zu benennen,
dann kann das sehr hilfreich sein.
Leider wird vieles, was die Frauen wirklich belastet, gar nicht in Zusammenhang mit einer traumatischen Geburt gebracht. Die Symptome scheinen nicht relevant genug:
negatives Selbstwertgefühl, das Gefühl, sich von anderen Menschen (die einem wichtig sind) zu entfernen, wenig bis kaum positive Emotionen zu empfinden, oft in einer gereizten und aggressiven Stimmung zu sein. Das könnte ja alles auch hormonbedingt sein. Die Betroffenen spüren zwar den hohen Leidensdruck – aber anstatt dieses Leid laut auszusprechen lassen sie Scham und Schuldgefühle oft verstummen. Darüber zu reden fällt den meisten Frauen schwer, da man dann die belastenden Momente und Situationen noch einmal durchleben muss. Die Folge sind langwierige Anpassungsstörungen an die neue Lebenssituation und mögliche Wochenbettdepressionen. Dabei hilft das Aussprechen sehr – vor allem, wenn man ernst genommen und nichts heruntergespielt wird – Durchlebtes ist in seiner Schwere oder Bedeutung immer individuell.
Väter, Partner*innen, Wegbegleiter*innen
Es ist auch von enormer Wichtigkeit, die Gefühle und Erlebnisse der Partner nicht aus dem Blick zu verlieren. Deren gefühlte Ohnmacht gegenüber dem System und unzulänglichem Klinikpersonal, die durchlebte Angst und das Gefühl von Wut, Versagen und Scham belasten die Betroffenen sehr. Da die Hauptsorge oft alleine dem Kind und der Frau gilt, werden Männer, Ehepartner*innen und andere Begleitpersonen oft vergessen und sind mit ihrem Gefühlschaos und dem Druck zu funktionieren oft ganz alleine.
Gestörte Mutter-Kind-Beziehung und psychische Instabilität des Kindes
Schwierige und gewaltsam erlebte Geburten können möglicherweise zusätzliche Auswirkungen auf die Mutter-Kind-Beziehung haben. Denn wenn es der Mutter nicht gut geht, kann sie sich anderen Menschen gegenüber nicht öffnen. Sie erlebt kein wirkliches Glückshoch. Viele Frauen kümmern sich um das Kind und machen alles, was gemacht werden muss. Aber sie sind permanent mit sich selbst und dem, was sie erlebt haben, beschäftigt. Sie sind erschöpft und todtraurig.
Konsequenzen beim Kind sind häufig Bindungsprobleme und alles, was diese nach sich ziehen. Wenn die Kinder klein sind, kann man häufig viel Weinen oder auch sogenanntes „Schreikinder“-Verhalten beobachten. Fehlendes Vertrauen aufgrund von fehlendem Urvertrauen durch eine gute und stabile Bindung in den ersten Lebensmonaten sind Ursachen für viele psychische Probleme, die oft im Jugend- oder Erwachsenenalter auftauchen und sich manifestieren.
Globaler Aktionstag „Roses Revolution“
Jedes Jahr am 25. November wird der globale Aktionstag „Roses Revolution“ begangen. Er richtet sich gegen Gewalt in der Geburtshilfe und wurde am 4. November 2013 auf der "3. Human Rights in Childbirth" Konferenz im belgischen Blankenberge nach einer Idee von Jesusa Ricoy ins Leben gerufen. Ziel ist es, auf gewaltsame und missbräuchliche Erfahrungen im Geburtsverlauf aufmerksam zu machen. Betroffene Frauen werden dazu ermutigt, Rosen und ggf. einen persönlichen Brief vor den Krankenhäusern bzw. Kreißsälen niederzulegen, in denen sie Gewalt erlebt haben. Immer mehr Frauen machen davon Gebrauch, erheben ihre Stimme und leisten so wertvolle Aufklärungsarbeit.
Traumatische und gewaltsame Geburten sind immer noch ein Tabu-Thema – dabei ist es so wichtig, dass man so viel wie möglich darüber weiß, um sich selbst, sein Kind und seine Liebsten zu schützen und für die Zukunft stark zu machen. Offenheit, Austausch und Verständnis sind wichtige Schritte, um das zu erreichen.
Quellen
Arte - Gewalt im Kreißsaal
Wikipedia
Christina Mundlos